Demenz Support Stuttgart

Tipp: Pause machen

Zeichnung: Magdalena Czolnowska © Demenz Support Stuttgart gGmbH

Dem Alltag Ruhe gönnen…

Schwester Klara arbeitet seit acht Jahren im Pflegeheim Sonnenschein. Dort wurde vor fünf Jahren eine Wohngruppe für Menschen mit Demenz eingerichtet. Damals hatte sie sich ganz bewusst für dieses Arbeitsfeld entschieden.
Mit zwei Mitarbeiterinnen ist die Personalausstattung im Früh- und Spätdienst in einer Bewohnergruppe mit 12 Personen ordentlich. Eine Betreuungskraft gestaltet mit den Bewohnerinnen das Frühstück und bietet im Laufe des Vormittags Aktivitäten für Gruppen und für einzelne Bewohnerinnen an.
An manchen Tagen herrscht jedoch große Unruhe in der Wohngruppe, so dass Aktivitäten in der Gruppe kaum zu realisieren sind. An anderen Tagen wiederum gelingen viele Interaktionen und Gruppenangebote in einem fast harmonischen Miteinander. Immer ist jedoch die ständige Aufmerksamkeit von Schwester Klara und ihren Kolleginnen gefordert. Dies gilt unabhängig davon, ob die Bewohnerinnen herausfordernde Verhaltensweisen zeigen oder nicht. Deshalb gelingt es den Mitarbeiterinnen oft nicht, sich die ihnen zustehende halbstündige Arbeitspause zu gönnen und hierfür den Wohnbereich zu verlassen. Sehr viel häufiger wird die Pause im Dienstzimmer verbracht. Dies hat jedoch zur Folge, dass Schwester Klara und ihre Kolleginnen immer wieder in ihrer Pause gestört werden – beispielsweise durchs Klingeln des Telefons oder durch Anfragen von Angehörigen.
Gleichwohl identifiziert sich Schwester Klara sehr mit dem Betreuungskonzept und findet, dass dies der richtige Arbeitsplatz für sie ist.
In der letzten Zeit fühlt sie sich sehr erschöpft, so dass sie zu Hause erst einmal eine Stunde ihre Ruhe braucht, bevor sie sich um ihre privaten Aufgaben kümmern kann.

Reflexion
Für jeden Arbeitnehmer ist Pause machen zunächst einmal gezielter Arbeitsschutz. Dies gilt auch für alle Mitarbeiter eines Pflegeheims. Das Arbeitsschutzgesetz regelt, wozu eine Arbeitspause dienen soll und welche Ansprüche und Pflichten sich hieraus ergeben.

Im Pflegealltag haben sich drei unterschiedliche Pausentypen ausgebildet:

  1. Es gibt Pflegende, die ihre Pause „flexibel“ handhaben und dabei meistens auf dem Wohnbereich bleiben. Zum einen kommen hier ein bestimmtes Verantwortungsverständnis gegenüber der Kollegin (insbesondere bei kleiner Personalbesetzung) und zum anderen die Fürsorgepflicht bzw. Verpflichtung gegenüber Bewohnerinnen und Bewohnern zum Tragen. Solche Mitarbeiter/innen sind häufig sehr unruhig und können ihre Pause außerhalb des Wohnbereichs kaum genießen, weil sie durch ihre Abwesenheit eine höhere Belastung für die Kollegin oder eine Zuspitzung von Konflikten unter Bewohner/inne/n wähnen. Wenn die Raucher/innen im Team ihre Pause(n!) grundsätzlich nehmen, während die Nichtraucher/innen auf dem Wohnbereich die Stellung halten, können sich langfristig Unstimmigkeiten im Team ergeben. Es können sich verdeckte oder offene Konflikte entwickeln, weil das Prinzip der Gerechtigkeit verletzt wird. Eine weitere Schwierigkeit ist die, dass Mitarbeiter/innen, die auf dem Wohnbereich Pause machen, eventuell von Angehörigen angesprochen werden und sich dann verpflichtet fühlen, ihre Pause zu erklären oder gar zu rechtfertigen. Oft wird Pflegenden unterstellt, nur Kaffee zu trinken und nichts zu arbeiten.
  2. Ganze Pflegeteams entscheiden sich für eine Pause auf dem Wohnbereich – etwa um gemeinsam zu frühstücken. Sie nehmen den damit verbundenen Arbeitsdruck in Kauf, zur Pausenzeit mit der Arbeit „fertig“ zu sein. Meist finden solche Pausen im Dienst- oder Besprechungszimmer des Wohnbereichs statt. Anfragen von Bewohner/inne/n oder Angehörigen werden in der Zeit durch Springer abgedeckt. Störungen sind unbeliebt, weil die gemeinsame Pause die einzige Möglichkeit darstellt, sich im Pflegeteam über Bewohner/innen auszutauschen oder sich auch einmal privat miteinander zu unterhalten. Vor allem in Pflegeeinrichtungen, die ihre Dienstzeiten so stark ökonomisiert haben, dass gemeinsame Übergaben nicht mehr durchgeführt werden, scheint dies ein Bedürfnis von Mitarbeiterinnen zu sein wie auch eine Gelegenheit, sich als Team zu erfahren.
  3. Eine optimale und für die Mitarbeiter/innen entspannende Pause ist dann gewährleistet, wenn man den Wohnbereich für 30 Minuten verlässt und einen Pausenraum aufsucht. Ein solcher Raum muss attraktiv gestaltet und entsprechend ausgestattet sein. Gleichzeitig ist für ein Team ein „Verfahren“ zur Pausenregelung unerlässlich. Die Festlegung von Pausenkorridoren und die Regelungen für die Schichten und bei Dienstbeginn kann mit einem Steckkartensystem visualisiert oder in einem Übergabeprotokoll festgelegt werden.

 
Tipps

  • Wenn man sich für die gemeinsame Pause auf dem Wohnbereich entscheidet: Unbedingt ein Schild an der Tür des Dienstzimmer anbringen: „Pause – wir sind gleich wieder für Sie da!“
  • Falls es keinen guten Ort für eine Pause gibt: Initiieren Sie eine Arbeitsgruppe zur Umgestaltung oder Neuschaffung eines Pausenraums außerhalb des Wohnbereichs
  • Ein Pausenraum sollte gut ausgestattet sein. Eine Kaffeemaschine ist unerlässlich. Eine gute Möglichkeit zum Entspannen bietet ein Massagesessel.
  • Schaffen Sie Anreize, den Pausenraum auch wirklich zu nutzen. Attraktiv könnte beispielsweise sein, wenn in regelmäßigen Abständen zu einem Gesundheitsfrühstück eingeladen wird.



Weiterführende Literatur:

Kaluza, Gert (2011) Stressbewältigung: Trainingsmanual zur psychologischen Gesundheitsförderung. Heidelberg: Springer.

Hübner, Franz (2007) Anti-Stressol. Pattloch.

Tipp: Bewegungsförderung

Zeichnung: Magdalena Czolnowska © Demenz Support Stuttgart gGmbH

Den Alltag bewegen...

Schwester Sara hat an einer Fortbildung zum Thema Bewegungsförderung teilgenommen. Sie erzählt bei der Teambesprechung begeistert, wie wichtig Bewegung für die kognitive Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden ist. Und sie ist Feuer und Flamme: Besonders für Bewohnerinnen mit Demenzerkrankungen muss ein Bewegungsangebot ausgearbeitet werden, damit vorhandene Ressourcen  aktiviert und so lang als möglich erhalten bleiben! Daraus entwickelt sich eine heiße Diskussion. Eine Mitarbeiterin vertritt den Standpunkt, dass Demenzerkrankte sich an Bewegungsangeboten nicht beteiligen können, weil sie Anleitungen nicht verstehen und umsetzen können. Eine andere Mitarbeiterin findet das Thema überflüssig, weil einige Bewohnerinnen mit Demenz ständig unterwegs sind und nicht einmal bei den Mahlzeiten auf ihrem Stuhl sitzen bleiben. Warum dann auch noch Bewegungsförderung, wenn der Bewegungsdrang schon so viel Unruhe bringt? Eine andere Kollegin befürchtet, dass durch mehr Bewegung das Sturzrisiko steigt. Sie sei froh, meint sie, wenn sie alle Bewohnerinnen im Blick hat und niemand „stiften geht“. Eine weitere Kollegin ist neugierig und möchte gerne wissen, welche Bewegungsangebote denn umgesetzt werden könnten? Schwester Sara schlägt einen Bogen von kleinen Bewegungseinheiten bei den Transfers (vom Bett in einen Sessel, vom Sessel zum Esstisch) bis zum Wanderausflug mit dem Schwäbischen Albverein. Erstaunen und Bedenken werden geäußert: solche Aktionen seien utopisch oder, wenn überhaupt, nur mit ehrenamtlichem Engagement der Mitarbeiterinnen zu realisieren! Schwester Sara versucht ihre Kolleginnen zu beruhigen. Sie erklärt, dass mit einer Bewegungsförderung Betreuungsziele verbunden sind, die Selbständigkeit, Selbstwert und Lebensfreude fördern. Vermeidungsstrategien sind, so hat sie in der Qualifizierung erfahren, keine Lösungen, sondern Ausdruck fehlender Konzepte. Es gehe nicht um eine Mehrbelastung von Mitarbeiterinnen, sondern um eine konzeptionelle Entwicklung mit dem Schwerpunkt Bewegungsförderung. Hierzu braucht es nicht nur ein pflegefachliches und methodisches Vorgehen, sondern auch organisatorisch stützende Rahmenbedingungen und darüber hinaus ein an Teilhabe orientiertes Leitbild der Einrichtung. Sie schlägt vor, gemeinsam mit einer Kollegin für einige  Bewohnerinnen eine Bewegungsbiographie zu erstellen. Dieser Vorschlag findet Zustimmung. Es werden gemeinsam vier Bewohnerinnen ausgewählt, die einige Mitarbeiterinnen im Pflegealltag immer wieder vor Herausforderungen stellen. Bei der nächsten Teambesprechung werden die Bewegungsbiographien reflektiert und mögliche Angebote abgeleitet.

Reflexion
Studien belegen, dass Bewegung u.a. dabei helfen kann, die Störungen der sogenannten Exekutivfunktionen im Gehirn zu verlangsamen, die zu einigen der massiven demenzbedingten Beeinträchtigungen beitragen. Generell gilt es, Bewegung nach Möglichkeit zu fördern, statt Bewohnerinnen und Bewohner (mit und ohne Demenz) dazu zu bringen, ruhig an einem Platz  zu sitzen. Außerdem können Bewegungsangebote, die auf die Neigungen der jeweiligen Personen eingehen, dazu beitragen, dass die betroffenen Personen ihre Agitiertheit abbauen.

„Mobilität ist ein ‚Kerngeschäft’ der Pflege“ (so die Pflegewissenschaftlerin Angelika Zegelin). Sie hat im Pflegealltag von ihr betreuter Einrichtungen das Drei-Schritte-Programm eingeführt. Ziel des Programms ist, dass scheinbar immobile Bewohnerinnen oder Bewohner bei jedem Transfer wenigstens drei Schritte gestützt gehen. Dies lässt sich bei Bewohnern, die im Rollstuhl sitzen, dadurch erreichen, dass der Rollstuhl zwei Meter vor dem Bett oder dem WC zurückgelassen wird. Auch bei den Mahlzeiten kann ein Transfer aus dem Rollstuhl auf einen normalen Stuhl mit drei Schritten erreicht werden. Es geht darum, alle Möglichkeiten zu nutzen, die sich im Alltag für kleine Bewegungsaktivitäten bieten. Dazu zählen auch Standortwechsel: Kleine Angebote wie z.B. Zeitung vorlesen werden nicht im Ess- und Aufenthaltsbereich, sondern in einer Sitznische oder in einem Wohnzimmer umgesetzt. Freibereiche sind attraktiv für Standortwechsel, zumal sie nicht nur Sitzgelegenheiten in der Natur, sondern auch viel Bewegungsraum bieten.

Der Blick in eine Bewohnerbiographie und ein Gespräch mit den Angehörigen geben oft Impulse für Bewegungsangebote. Hat sich die Person in ihrem Leben viel und gerne bewegt? In welchem Zusammenhang? Sport oder Gartenarbeit, Sonntagsspaziergang oder Wandern? Alleine oder in der Gruppe? Gibt es in der Einrichtung vielleicht noch andere Bewohnerinnen und Bewohner mit ähnlichen Vorlieben? Wäre es möglich, mit Hilfe von außen, etwa durch freiwillig Engagierte, eine Geher- oder Walking-Gruppe ins Leben zu rufen? Wie sieht es mit Bewegung und Musik aus? Wie stellt man ein Bewegungsprogramm mit Musik zusammen? Wer kann hier unterstützen? Welche Kompetenzen brauchen Mitarbeiterinnen für die Umsetzung?

Wenn man die Bewegungsbiographien vieler Bewohner und Bewohnerinnen betrachtet, dann wird deutlich, dass viele die „Tanzschule“ besucht und an Tanzveranstaltungen teilgenommen haben – auch wenn zugegebenermaßen Frauen mehr fürs Tanzen brennen als Männer. Dennoch findet sich bei einem Großteil der Bewohnergeneration im Pflegeheim diese Bewegungskompetenz. Die gängigen Gesellschaftstänze sind gelernt und in der Jugend waren Tanzveranstaltungen nicht nur Orte für Bewegung mit Musik, sondern es waren Treffpunkte und „Kontaktbörsen“. Tanzangebote aktivieren bei Menschen mit Demenz Bewegungsmuster, die eingeübt sind und abgerufen werden können, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Atmosphäre, Raum, Kleidung, Snacks und Getränke – ein Arrangement im Ablauf und Angehörige und Mitarbeiterinnen, die den Schritten folgen können. Hier zeigt sich jedoch ein demographischer Umbruch. Viele junge Pflegende gehen zwar gerne zum Tanzen (HipHop oder Techno), beherrschen aber die Grundschritte von Standardtänzen nicht mehr, weil der obligatorische Tanzkurs in ihrer Teenager-Zeit als altmodisch galt. Für eine erfolgreiche Umsetzung von Tanznachmittagen braucht es aber eine tänzerische „Grundqualifikation“. Die kann über einen Tanzkurs erworben werden, der durchaus auch im Pflegeheim für Pflegemitarbeiterinnen zu organisieren ist.


Weiterführende Literatur:

Bell et al. (2007): So bleiben Menschen mit Demenz aktiv. München: Reinhardt Verlag

Demenz Support Stuttgart gGmbH (Hrsg.) (2008). DeSS orientiert. Let’s move – Bewegung und Demenz. Ausgabe 2/08. Stuttgart: Demenz Support gGmbH.
http://www.demenz-support.de/Repository/dessjournal_2_2008_bewegung.pdf

Eisenburger, M. (2010): Aktivieren und Bewegen von älteren Menschen: Schulung der Sinne. Beweglichkeit durch Gymnastik. Rhythmus und Tanz. Meyer & Meyer Sport

Schmidt-Hackenberg, U. (2010): Wahrnehmen und Motivieren: Die 10-Minuten-Aktivierung für die Begleitung Hochbetagter. Hannover: Vincentz

Theune, T. (2009): Bewegung im Alter: Körper und Geist gemeinsam fördern. München: Elsevier, Urban & Fischer

Zegelin, A. (2005): "Festgenagelt sein". Der Prozess des Bettlägerigwerdens. Bern, Göttingen: Verlag Hans Huber.


Tipp: „Herausforderndes Verhalten“

Zeichnung: Magdalena Czolnowska © Demenz Support Stuttgart gGmbH

Reizbarkeit durch Schmerzen

Frau Schmidt lebt seit acht Monaten auf dem Wohnbereich „Sonniger Herbst“. Sie zog dort ein, weil sie sich in den eigenen vier Wänden nicht mehr selbst versorgen konnte. Ihre damaligen Nachbarn mussten feststellen, dass sie immer vergesslicher wurde. Zudem kam es immer häufiger zu Stürzen, die dringenden Handlungsbedarf signalisierten. Nach Einschätzung des Hausarztes liegt bei Frau Schmidt eine mittelgradige Demenz vor, die ihr das Leben schwer macht.
Nach Einzug ins Pflegeheim konnten die Pflegekräfte eine Verschlimmerung von Frau Schmidts Vergesslichkeit beobachten. Auch fiel es ihr zunehmend schwer, ihre Bedürfnisse sprachlich klar auszudrücken. Beim Waschen, insbesondere aber beim Ankleiden, reagierte Frau Schmidt immer häufiger sehr ungehalten und bedrohte die Mitarbeiterinnen, die ihr behilflich waren, sogar mit ihrem Stock. Die Pflegemitarbeiterinnen versuchten, einfühlsam auf sie einzuwirken und ihr Befinden über validierende Gespräche zu verstehen. Dies zeigte jedoch keine Wirkung. Neben drohenden Stockhieben mussten die Mitarbeiter nahezu bei jedem Köperkontakt auch unverständliche „Beschimpfungen“ auf sich nehmen. Es wurde immer schwerer, überhaupt eine pflegepraktische Handlung mit Frau Schmidt vorzunehmen, da sie alles gut gemeinte Tun abwehrte.


Bei Menschen mit Demenz sind häufig Verhaltensweisen zu beobachten, die auffallend oder ungewöhnlich erscheinen. Die Palette der Möglichkeiten reicht vom ständigen Rufen über agitierte Verhaltensweisen bis zu Reizbarkeit oder gar Aggressivität. Für Mitarbeiterinnen in der Pflege oder auch Angehörige stellt sich dies oftmals als "Problem" dar. Verhaltensweisen wie die angedeuteten werden zumeist als "Störung" der täglichen Abläufe erlebt. Und sie können, wie im oben dargestellten Beispiel, psychisch oder gar physisch verletzend und eine große Belastung sein.

Was muss im Umgang mit solchen Verhaltensweisen und den sich hieraus ergebenden Situationen bedacht werden? Grundsätzlich sollte man sich zunächst einmal Folgendes vergegenwärtigen: Jedes Verhalten hat eine Bedeutung – auch das von demenziell veränderten Menschen! Insofern lassen sich solche Verhaltensweisen als Herausforderung verstehen, die mit dem jeweiligen Verhalten verbundene "Botschaft" zu ergründen. Ziel muss sein, den Gründen und/oder Anlässen derartiger Verhaltensweisen auf die Spur zu kommen. Dabei ist die Annahme hilfreich, dass sich hinter solchen Verhaltensweisen unbefriedigte oder fehlinterpretierte Bedürfnisse oder Probleme als Verursacher verbergen.
Die Suche nach dem konkreten "Verursacher" einer Verhaltensweise sollte folgende drei Bereiche in den Blick nehmen:

  1. die Interaktion zwischen der demenziell veränderten Person und ihrem physischen Umfeld. Mögliche konkrete "Verursacher" können hier sein: grelles Licht, Lärm/zu viele Geräusche, eine "hektische" Umgebung, aber auch Kälte, Zugluft und ähnliches;
  2. die Interaktion zwischen der demenziell veränderten Person und ihrem sozialen Umfeld - wie zum Beispiel Pflegende, Angehörige und andere Personen im unmittelbaren Umfeld. Das heißt: Verhaltensweisen oder auch Besonderheiten von Begleiterinnen und Pflegenden können "problematisches" Verhalten auf der Seite der demenziell veränderten Person auslösen;
  3. der körperliche Zustand der demenziell veränderten Person. Herausforderndes Verhalten wird nicht selten durch körperliches Unwohlsein, insbesondere durch Schmerz, verursacht. Bei fortgeschrittenen demenziellen Veränderungen kann das Wissen darüber verloren gehen, was Schmerz ist. Oder es kann sein, dass eine entsprechende verbale Äußerung nicht mehr möglich ist. Außerdem kommt es zu Veränderungen im Bereich des Körpergefühls, so dass Schmerzen nicht mehr lokalisiert werden können. Von Außenstehenden kann nur indirekt, über das Verhalten, auf Schmerzen geschlossen werden. Wie jemand mit mittleren bis fortgeschrittenen demenziellen Veränderungen, der unter Schmerzen leidet, sich verhält, ist individuell verschieden und hängt von seiner bzw. ihrer persönlichen Art des Umgangs mit Schmerzen ab.

In Bezug auf den möglichen Verhaltensverursacher Schmerz ist zu unterstreichen, dass Schmerzen bei Menschen mit Demenz häufig übersehen werden. Und zweitens ist aus Studien bekannt, dass diese Personengruppe zu wenig Schmerzmedika-mente erhält. Dem physischen Umfeld geschuldete Problem- oder Störungsfaktoren lassen sich, einmal identifiziert, beseitigen. Das Verhalten von Menschen in der unmittelbaren Umgebung lässt sich ändern bzw. anpassen. Doch Schmerzen können auch mit einer validierenden Haltung und Gesprächen nicht wegvalidiert werden! Was es vielmehr braucht ist ein systematisches Schmerzmanagement.

Reflexion
Jedes Verhalten hat eine Bedeutung. Wenn sogenannte herausfordernde Verhaltensweisen auftreten, sollten Pflegekräfte sich immer Zeit nehmen, diese zu reflektieren.
Versuchen Sie also, die Brille der demenziell veränderten Person aufzusetzen und diese zum Zentrum Ihrer Überlegungen zu machen. Gehen Sie dann Fragen wie den folgenden nach:

  • Ist an dem Tag, in der Situation, in welcher das Verhalten aufgetreten ist, in der Betreuung und Pflege irgendetwas anders abgelaufen als gewohnt?
  • Hat sich in der physischen Umgebung irgendetwas verändert?
  • Welche der Umwelt geschuldeten Reize haben auf die Person eingewirkt? (Licht? Lärm? Kälte/Hitze?)
  • Hat sich im Umfeld (neues Personal oder neue Mitbewohner) eine Veränderung ergeben, welche die Person unter Stress gesetzt hat?
  • Liegt eine aktuelle gesundheitliche Beeinträchtigung bzw. Schmerzen vor?

Lässt sich das Verhalten für Sie nicht eindeutig klären, dann versuchen Sie, die Situation möglichst genau zu beschreiben und sich mit Ihren Kollegen oder im Team auszutauschen:

  • Was ist passiert? Wann? Wie? Gibt es einen Auslöser? Wie hat sich die Situation entspannt?

Regelmäßige Fallbesprechungen sind zu empfehlen. Auch hier sollten Sie unbedingt die Perspektive der Person einbeziehen, um die es geht!

Weiterführende Literatur:

BMG (Hg.) (2006): Rahmenempfehlungen zum Umgang mit herausforderndem Verhalten bei Menschen mit Demenz in der stationären Altenhilfe. Berlin: Bundesministerium für Gesundheit

pflegen: Demenz. Heft 13, 2009. Schwerpunktthema Schmerz

Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (Hg.) (2004): Expertenstandard Schmerzmanagement in der Pflege. Osnabrück: Fachhochschule Osnabrück

Schwermann, M. (2009): Kompetenz in Palliative Care: Haltung - Wissen - Umsetzung. Hannover: Vincentz


Tipp: Zeitdiebe

Zeichnung: Magdalena Czolnowska © Demenz Support Stuttgart gGmbH

Wenn die Zeit davonrennt …

Herr Gruber war früher Postbote. Seit einem halben Jahr lebt er im Pflegeheim Sonnenblume. Bei den Pflegenden hat sich die morgendliche Körperpflege bei Herrn Gruber zu einem Reizthema entwickelt. Es braucht sehr viel Überredungskunst und noch mehr Mühen, um Herrn Gruber dazu zu bewegen, sich ins Badezimmer und ans Waschbecken zu begeben. Ist er dann dort, lässt er mit einer Miene, die komplette Verständnislosigkeit signalisiert, die gesamte Prozedur über sich ergehen.

An einem Tag kommt die Mitarbeiterin im Frühdienst einfach nicht dazu, Herrn Gruber bei der Körperpflege behilflich zu sein. Mit einer gehörigen Portion an schlechtem Gewissen schließt sie ihren Dienst ab und überträgt Herrn Grubers  Körperpflege einer Kollegin im Spätdienst. Diese lädt Herrn Gruber am späten Nachmittag ein, mit ihr ins Badezimmer zu kommen und eine Dusche zu nehmen. Sehr zu ihrem Erstaunen stimmt dieser ohne ein Anzeichen von Widerstand sofort zu. Während der Körperpflege ist Herr Gruber ruhig und entspannt. Er versucht sogar, ein paar Handlungen selbst auszuführen. Als die Mitarbeiterin diese Beobachtung am nächsten Tag im Kolleginnenkreis schildert, wird seitens der Pflegeleitung nochmals betont, dass die Körperpflege vormittags zu erfolgen habe.

Die Geschichte von Herrn Gruber konfrontiert uns mit dem Thema Routinen. Routinen können sowohl den Bewohnerinnen und Bewohnern als auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine feste Struktur und Sicherheit bieten und damit für Entlastung sorgen. Im Umgang mit Menschen mit Demenz müssen Routinen, die einen möglichst reibungslosen Ablauf pflegerischer Tätigkeiten sicherstellen sollen, immer wieder überdacht werden. Grundsätzlich ließe sich viel an Zeit (und Nerven) sparen, wenn derlei Routinen im Hinblick auf das Wohlbefinden der Bewohnerinnen hinterfragt und überprüft und Arbeitsabläufe entsprechend angepasst würden. Hierzu braucht es einer Pflegekultur, die sich an den Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner orientiert. Die ist in den Einrichtungen bis heute vielerorts nur partiell entwickelt.

Um hier Abhilfe zu schaffen, muss ein Pflegeteam sich auf Betreuungsziele einigen und diese als gemeinsame Grundlage verabschieden. Zweitens muss dafür gesorgt werden, dass die Arbeitsorganisation eine gewisse Flexibilität ermöglicht und dennoch eine stützende Tagesstruktur für die Bewohnerinnen umgesetzt und gelebt werden kann. Ein Festhalten an starren Routinen kann das Bewohner-Mitarbeiter-Verhältnis belasten, den Arbeitsdruck bei den Pflegenden erhöhen und gleichzeitig eine Verschwendung von wertvoller Arbeitszeit mit sich bringen. Die zeitliche und emotionale Belastung bei Pflegenden ist sicherlich höher, wenn sie gegen den Widerstand von Bewohnerinnen und Bewohnern handeln und vieles versuchen, um im eng gesteckten Rahmen der Routinen Aufgaben wie Körperpflege durchzuführen.

Mit Blick auf unser Beispiel lässt sich vermuten, dass eine Verschiebung der Körperpflege auf den Spätnachmittag den früheren Gewohnheiten von Herrn Gruber sehr entgegenkommt. Damit kann die Körperpflege mit seinem Einverständnis und seiner Kooperationsbereitschaft angegangen werden, was den Pflegenden viel an Zeit (und Anstrengungen) erspart und gute Voraussetzungen für eine gelassene Interaktion schafft.

Kleine Reflexion

  • Routinen haben oftmals ihren Sinn, sind aber kein Selbstzweck. Wo sie zu Hürden einer erfolgreichen, an den Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner orientierten Pflege und Begleitung und darüber hinaus zu „Zeitfressern“ werden, müssen sie hinterfragt werden können.
  • Wo dies grundsätzlich nicht möglich ist, muss über die Pflegekultur des Hauses – ihren Sinn und Zweck – nachgedacht werden.
  • Wenn sowohl bei den Bewohnerinnen und Bewohnern, als auch bei den Mitarbeitern Leidensdruck erkennbar wird, ist es höchste Zeit für eine Fallbesprechung.
  • Voraussetzung dafür, flexibler und am Bedürfnis der Bewohnerinnen und Bewohner orientiert mit Routinen umzugehen, ist eine Zusammenarbeit im Team, die über die Grenzen der Dienstzeiten hinausgeht (Kommunikationsbedarf). Innerhalb der Schichten muss es darum gehen, die pflegerischen Aufgaben sinnvoll zu koordinieren.
  • Zu beachten ist außerdem, dass ein flexibler Umgang mit Routinen vor allem Angehörigen vermittelt werden muss, damit diese sich nicht in ihren Erwartungen enttäuscht sehen und der Sinn des gewählten Vorgehens für alle transparent ist.

 
Fassen Sie die Zeitdiebe!

So könnte man vorgehen:

  • Es werden Reibungsverluste identifiziert, die sowohl eine Verschwendung von Zeitressourcen, als auch eine emotionale Belastung für Mitarbeiterinnen darstellen.
  • Eine Arbeitsgruppe sucht nach Lösungsmöglichkeiten und plant die Umsetzung.
  • Im Rahmen einer (oder mehrerer) Teamsitzungen werden die erarbeiteten Umsetzungsmaßnahmen kommuniziert und auch im Dienstzimmer visualisiert.
  • Dann werden die Maßnahmen umgesetzt und die Umsetzung dokumentiert.
  • Alle sechs Monate wird das Thema „Zeitdiebe“ in der Teambesprechung auf die Tagesordnung gesetzt. Wo sich akute Problemstellungen ergeben, werden diese zeitnah bearbeitet.


Weiterführende Literatur:

Kuhn, Christina; Radzey, Beate (2005). Demenzwohngruppen einführen. Ein Praxisleitfaden für die Konzeption, Planung und Umsetzung. Stuttgart: Demenz Support Stuttgart gGmbH (vergriffen).


Tipp: Mahlzeitengestaltung

Zeichnung: Magdalena Czolnowska © Demenz Support Stuttgart gGmbH

Mahlzeiten zelebrieren!

Frau Schmidt lebt seit kurzem im Pflegeheim Sonnenblume. Bei ihr liegt eine Laktoseunverträglichkeit vor. Sie bekommt deshalb Sonderkost. Sie ist motorisch unruhig, was mit ihrer Demenzerkrankung in Verbindung gebracht wird. Im Ess- und Aufenthaltsbereich hat man Frau Schmidt an einem Tisch platziert, der für acht Personen ausgerichtet ist. Beim Mittagessen spielt sich täglich die gleiche Szene ab: Frau Schmidt steht immer wieder von ihrem Sitzplatz auf und macht Anstalten, den Tisch zu verlassen. Daraufhin fordern die Pflegemitarbeiterinnen sie auf, sich wieder hinzusetzen. Da die Mahlzeiten im Tablettsystem an den Tisch gebracht werden und die Sonderkostformen erst am Schluss verteilt werden, muss Frau Schmidt auf ihre Mahlzeit warten. Ihre Tischnachbarn und -nachbarinnen sind mit dem Essen fast fertig, als Frau Schmidt ihren Hauptgang serviert bekommt. Als die anderen den Tisch verlassen, steht auch Frau Schmidt wieder auf, um sich ihnen anzuschließen. Die Pflegemitarbeiterin versucht Frau Schmidt, nochmals zum Essen zu ermuntern, aber diese besteht darauf, den anderen zu folgen.

Kommentar:
Im Pflegeheimalltag – und nicht nur dort – sind Mahlzeiten Höhepunkte des Tages. Sie haben ein großes Potenzial, auch Menschen mit Demenz Genuss und Freude am Essen und Trinken in Gemeinschaft zu geben sowie Aufmerksamkeit und Wohlbefinden zu steigern. Die Gestaltung der Mahlzeiten beinhaltet aber auch eine Reihe von Stolpersteinen. Damit gemeinsam genossene Mahlzeiten verlässlicher Bestandteil der Lebensqualität von Pflegeheimbewohnerinnen und –bewohnern sein können, müssen solche Hürden aus dem Weg geräumt werden.


Hinweise:
Gerade bei Menschen mit Demenz gilt es, bei den Mahlzeiten einige Dinge zu beachten. Viele Menschen aus diesem Personenkreis verlieren im Verlauf ihrer Erkrankung an Gewicht und sind deswegen besonders häufig von Mangelernährung betroffen. Dafür, dass Menschen mit Demenz nicht genügend essen und trinken, gibt es zahlreiche Gründe. Hierzu zählen Besonderheiten wie innere Unruhe, leichte Ablenkbarkeit, Appetitlosigkeit durch veränderte Geschmackswahrnehmung oder durch Nebenwirkungen von Medikamenten sowie nicht zuletzt Schwierigkeiten im Umgang mit Besteck.

Im Hinblick auf die Essenssituation gilt generell, dass Menschen mit Demenz bei den Mahlzeiten schnell überfordert sein können. Lärm und Hektik lenken ab und verhindern die Konzentration auf das Essen. Außerdem kann Unruhe entstehen, wenn Personen auf ihre Mahlzeit warten müssen, sich vom Teller des Tischnachbarn bedienen oder aufstehen und das Zimmer verlassen. Insgesamt sollte versucht werden, eine harmonierende Tischgemeinschaft zu schaffen. Wo veränderte Tischmanieren nicht akzeptiert werden, sollte darüber nachgedacht werden, welche Bewohner sich am Tisch besser miteinander arrangieren könnten und dann entsprechende Veränderungen vornehmen.
Bewohner, die sich trotz aller Bemühungen nicht in eine Tischgemeinschaft integrieren lassen, können ggf. an einem Einzelplatz mit Blickbezug zur Gemeinschaft aufgefangen werden.

Beim Essen gilt der Grundsatz: das Auge isst mit! Ansprechend angerichtete Teller fördern den Appetit. Dies sollte auch bei passierter Kost beherzigt werden.

Wenn der Geschmackssinn beeinträchtigt ist, ist es umso wichtiger, dass Mahlzeiten ein sinnliches „Gesamterlebnis“ bieten. Die in vielen Pflegeheimen herrschenden industrialisierten Abläufe und die damit einhergehende Entsinnlichung lässt sich mit relativ einfachen Tricks überwinden. So kann man etwa kurz vor dem Frühstück ein Brot in den Toaster stecken, um die Bewohner auf die Mahlzeit einzustellen und Appetit zu machen. Oder man kocht am Mittag eine Portion des Essens auf, damit sich der Essensgeruch im Wohnbereich verbreitet.

Größere Schwierigkeiten macht das Tablettsystem, das sich am Prinzip eines „normalen“, häuslichen Abläufen entsprechenden Alltags sowie der Leitvorstellung von Wohnlichkeit reibt. Menschen mit Demenz können durch das gleichzeitige Servieren aller Bestandteile eines Menüs von der Vorspeise bis zum Nachtisch überfordert werden. Besser ist daher, die Gänge nacheinander und tischweise zu servieren.

Wichtig ist außerdem, dass genügend Zeit vorhanden ist, um eine Mahlzeit in Ruhe einnehmen zu können. In organisatorischer Hinsicht müssen die Nahtstellen zur Küche so gestaltet werden, dass zum Beispiel durch die Rückführung des Geschirrwagens kein Zeitdruck für die Mitarbeiter entsteht.

Eine angenehme Atmosphäre wird durch einen überschaubar und wohnlich gestalteten Essbereich gefördert. Klare Kontraste zwischen Geschirr, Untergrund und Mahlzeitenkomponenten sowie eine sparsame Tischdekoration erleichtern die Wahrnehmung.

Genügend Mitarbeiterinnen geben unauffällig, dezent und gelassen Hilfestellung und Anstöße, mit dem Essen zu beginnen. Hierzu dienen auch Rituale, wie etwa ein gemeinsamer Spruch, ein Gong, eine Musik, die zu Tisch ruft.



Weiterführende Literatur:

DGE (2006): Essen und Trinken bei Demenz. Bonn: Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. „Fit im Alter - Gesund essen, besser leben“ http://www.dge.de/pdf/fitimalter/Flyer-Essen-und-Trinken-bei-Demenz.pdf

Crawley, H. (2005): Essen und Trinken bei Demenz. Köln: Kuratorium Deutsche Altershilfe.

Menebröcker, C.; Rebbe, J. (2008): Genuss im Alter: Kochen für Menschen mit Demenz. Norderstedt: Books on Demand GmbH.

Robert Bosch Stiftung (Hrsg.) (2007): Ernährung bei Demenz. Bern: Huber.

Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen (Hrsg.) (2006): Ratgeber für die richtige Ernährung bei Demenz. München: Ernst Reinhardt Verlag.


TIPP: Körperpflege

Zeichnung: Magdalena Czolnowska © Demenz Support Stuttgart gGmbH

Selbstpflegekompetenzen unterstützen

Neulich im Pflegeheim Herbstsonne: Stolpersteine in der Unterstützung der Körperpflege bei Herrn Maier …

Herr Maier ist vor kurzem im Pflegeheim Herbstsonne eingezogen. Er ist mobil, benötigt aber beim Aufstehen Unterstützung und vor allem Hilfe bei der Körperpflege. Schwester Monika ist frisch aus dem Urlaub zurückgekommen und in der Frühschicht im Wohnbereich unterwegs. Als sie zu Herrn Maier kommt, hilft sie ihm beim Aufstehen und begleitet ihn ins Bad. Nach dem Lüften des Zimmers geht sie zurück ins Bad und lässt für die Morgentoilette Wasser ins Waschbecken ein. Als das Becken gefüllt ist, gibt sie etwas flüssige Waschlotion ins Wasser. Sie reicht Herrn Maier einen Waschlappen und fordert ihn auf, mit dem Waschen des Gesichts zu beginnen. Herr Maier betrachtet den Waschlappen in seiner Hand, schaut sich suchend um und verharrt untätig. Schwester Monika formuliert die Aufforderung, sich das Gesicht zu waschen, noch einmal ganz deutlich. Herr Maier schaut sie aufmerksam an, betrachtet nachdenklich das Waschbecken und verharrt abermals untätig. Schwester Monika deutet sein Verhalten als verloren gegangenes Können in Folge der demenziellen Veränderungen, die in Herrn Maiers Pflegedokumentation erwähnt sind. Deshalb übernimmt sie kurzerhand die Pflege, indem sie Herrn Maier den Waschlappen aus der Hand nimmt und mit der Reinigung des Gesichts beginnt.

Kommentar:
Die Selbstpflegekompetenzen von Bewohnerinnen und Bewohnern im Pflegeheim zu stützen bedeutet, ihnen ein Stück Autonomie zu erhalten und sie in ihrem Selbstwertgefühl zu stärken. Kompetenzerhalt ist also ein hohes Ziel der Pflege. Insofern lohnt es sich, möglichen Gründen für Herrn Maiers Verhalten nachzugehen.

Erläuterung:
Häufig passen die Ansprüche, die Pflegende mit der Körperpflege verbinden, nicht zu den über lange Zeit etablierten Lebensgewohnheiten von Bewohnerinnen und Bewohnern eines Pflegeheims. Bei Menschen der älteren Generationen ist das samstägliche Wannenbad bis heute ein lieb gewordenes und deshalb gerne gepflegtes Ritual. Die für Mitglieder jüngerer Generationen ebenso selbstverständliche wie unentbehrliche tägliche Dusche ist alten Menschen nicht selten fremd geblieben. Selbst wenn eine Dusche in der Wohnung vorhanden war, ist man womöglich weiterhin bei der Ganzkörperwäsche mit Hilfe des gefüllten Waschbeckens, eines Waschlappens und eines festen Stücks Seife geblieben.

Auch die Art und Weise, den Tag zu beginnen, ist bei vielen Menschen mit festen Ritualen verbunden. Die eine springt nach dem Klingeln des Weckers sofort aus den Federn und geht ins Bad zum Toilettengang und zum Zähneputzen. Der andere räkelt und streckt sich erst einmal ausgiebig im Bett, um dann langsam aufzustehen und in der Küche eine Tasse Kaffee oder Tee zu trinken. Erst danach ist diese Person bereit, sich zur gründlichen Morgentoilette ins Bad zu begeben. Wieder anders eine Mutter von fünf Kindern: diese dürfte über weite Strecken ihres Lebens am Morgen kaum Zeit im Bad zur Verfügung gehabt haben, weshalb sie die „große Toilette“, d.h. Duschen, Baden oder Ganzkörperreinigung durch Waschen am Waschbecken über Jahre eher am Abend erledigt hat. Auch wer sein Leben lang hart körperlich gearbeitet hat, wird die große tägliche Körperreinigung in aller Regel nach der Arbeit vollzogen haben.

Ein anderes Erklärungsmuster für das Verhalten von Herrn Maier könnte folgendes sein: er hat den von Schwester Monika umrissenen „Handlungsrahmen“ nicht erkannt. Im geschilderten Beispiel wurde statt eines Seifenstücks, das dem Bewohner aus seiner Alltagspraxis bestens vertraut ist, eine Waschlotion verwendet. Hierdurch ist womöglich der entscheidende Anstoß für den Einstieg in die Pflegehandlung entfallen. Herr Maier hat sein Leben lang Seife, eventuell sogar seit vielen Jahren die gleiche Marke benutzt. Allein der Geruch dieser Seife kann angenehme Erinnerungen wecken und so dazu beitragen, dass die selbständige Körperpflege für einen alten Menschen zu einem positiven Erlebnis wird. Ohne das Stück Seife, seine Haptik und seinen Geruch fehlt Herrn Maier vielleicht der ihm vertraute sinnliche Handlungsimpuls.

Außerdem kann der Versuch einer Pflegeperson, an einer alten und hilfebedürftigen Person pflegerische Handlungen auszuführen, falsch interpretiert werden. So kommt es häufig vor – und ist absolut zu respektieren – dass Frauen sich nicht von männlichen Pflegepersonen bei der Körperwäsche unterstützen lassen wollen oder diese Hilfestellung gar als Übergriff auffassen. Ähnliches gilt auch, wenn weibliche Pflegende einer männlichen Person bei der Körperpflege zur Hand gehen wollen und dies aufgrund von Schamgefühlen abgewehrt wird.

Die Zurückweisung eines Unterstützungsangebots kann aber auch daran liegen, dass die Person, der Unterstützung angeboten wird, mit einem Bild von sich als autonom und selbständig lebt und aus diesem Grunde keine Hilfe akzeptieren mag. In einem solchen Fall – und hier wären wir bei möglichen Lösungsansätzen angekommen – sind Kreativität und gute Einfälle gefragt, um Wege zu finden, Unterstützung so anzubieten, dass sie auch angenommen werden kann.

Lösungsansätze

  • In einem ausführlichen Gespräch zum Einzug eines Bewohners in ein Pflegeheim empfiehlt es sich, auch Selbstpflegegewohnheiten zu erfragen und zu dokumentieren: etwa den genauen Ablauf, die Tageszeit, ritualisierte Handlungsweisen (z.B. am Morgen nach der ersten Tasse Tee) sowie auch Pflegemittel und -gegenstände, die bei der Selbstpflege zum Einsatz kamen.
  • Rituale und Gewohnheiten beachten
  • Vertraute Pflegemittel verwenden: z. B. Produkte wie Lux- oder Speick-Seife, Nivea-Creme, Kernseife
  • Abwehrreaktionen bei Unterstützung der Körperpflege durch verschiedengeschlechtliche Personen beachten und in der Mitarbeitereinsatzplanung berücksichtigen
  • Bewohnern, die eine Ganzkörperwäsche verweigern, eine Teilwäsche anbieten, die womöglich eine zusätzliche wohltuende Wirkung hat wie etwa ein Fußbad

Weiterführende Literatur:

Barrick, Rader, Hoeffer, Sloan, Biddle (Hrsg.)(2011): Körperpflege ohne Kampf - Personenorientierte Pflege von Menschen mit Demenz. Bern: Verlag Hans Huber

 

Pause machen: Dem Alltag Ruhe gönnen...
 Details

Bundesministerium für Arbeit und Soziales
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
Gesellschaft für soziale Unternehmensberatung mbH